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Merz gegen RegenbogenfahneWir sind keine Freakshow!

Kommentar von Dennis Chiponda

Merz will keine Pride-Flagge am Bundestag. Der sei ja kein „Zirkuszelt“. Was für eine verächtliche Sprache gegen queere Sichtbarkeit!

1995: Gewerbekletterer verhüllen das Reichstagsgebäude. 2025: Wir haben einen Verbesserungsvorschlag Foto: Wolfgang Kumm/dpa/Montage:taz

F riedrich Merz offenbart erneut sein wahres Gesicht: „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“, erklärt er bei „Maischberger“, um zu rechtfertigen, warum am Christopher Street Day keine Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude wehen darf. Damit degradiert er die queere Community zur Freakshow, zum Kabinett der Kuriositäten, das man dem rechten Mob auf den Straßen vorwerfen kann. Wenn wir die Freakshow sind, Herr Merz, dann sind Sie der unlustige Clown, der mit abwertenden Worten die Show auf unsere Kosten macht.

Merz’ „Zirkuszelt“-Vergleich ist kein Versehen, sondern ein Statement voller Verachtung. Er benutzt erneut verächtliche Sprache, um queere Sichtbarkeit im Bundestag zu verhindern. Die Regenbogenflagge zum CSD sei „beliebig“ und passe nicht zum „Ernst“ des Parlaments. Tatsächlich zeigt, wer queere Menschen als Freakshow abtut, wie wenig er von Demokratie, Respekt und Vielfalt versteht.

Er macht queere Sichtbarkeit zum Spektakel, das im Bundestag nichts verloren habe. Die Regenbogenflagge steht jedoch für Menschenrechte, Respekt und den Kampf gegen Diskriminierung – demokratische Werte, die laut Julia ­Klöckner auch aus der deutschen Flagge abzuleiten sind. Wo ist dann das Problem, eine Flagge zu hissen, die den Werten unserer Demokratie entspricht? Sichtbarkeit kostet in diesem Fall nichts – außer Haltung und Nächstenliebe.

Mit seinem Zirkuszelt-Ausfall klebt Merz der queeren Community erneut eine Zielscheibe auf den Rücken

Wer glaubt, Merz tappt hier nur ins Fettnäpfchen, irrt. Er hat sich mehrfach queerfeindlich geäußert. 2020 verknüpfte er Homosexualität in einem Interview mit Pädophilie, als er auf die Frage nach einem homosexuellen Bundeskanzler antwortete: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht.“

Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung vieler cis-hetero Männer

Diese Aussage bedient ein gefährliches Narrativ, das queere Menschen als gleichwertige Bür­ge­r*in­nen disqualifizieren soll. Auf das Coming-out von Klaus Wowereit reagierte er 2001 so: „Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“ Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung vieler cis-hetero Männer, die glauben, jeder schwule Mann würde auf sie anspringen – als wären wir permanent auf der Jagd nach dem nächsten dahergelaufenen Clown. Das ist keine Ally-Haltung, das ist Distanzierung und Abwertung.

Mit seinem „Zirkuszelt“-Ausfall klebt Merz der queeren Community erneut eine Zielscheibe auf den Rücken. Er macht uns angreifbar für rechte Hetze und Gewalt. Was glauben Konservative eigentlich, was rechtsextreme Gewalttäter in ihrer Haltung bestärkt? Er zeigt, dass die demokratischen Instanzen nicht an unserer Seite stehen. Klöckner könnte durch die Flaggenordnung die Regenbogenflagge hissen, wie es seit 2022 gehandhabt wurde – und wie es Unionskollegin Ilse Aigner im Bayerischen Landtag vormacht. Aber Klöckner will es nicht, vermutlich weil es nicht in ihre Ideologie passt. Gemeinsam treiben sie und Merz einen unnötigen rechten Kulturkampf voran, der die Gesellschaft spaltet.

Auf die SPD können wir uns in diesem Fall auch nicht verlassen. Die Wortbekundungen von Ex-Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) sind zwar stark: „Die Regenbogenflagge ist kein Symbol für einen Zirkus. Sie steht für Menschen, die es heute wieder viel schwerer haben als noch vor Jahren.“ Doch der Koalitionsvertrag bedeutet für queere Rechte nur Stillstand oder Rückschritt. Taten zählen mehr als Worte. Po­li­ti­ke­r*in­nen mit Bauchschmerzen sollten zum Arzt gehen und aufhören, sich über die Ungerechtigkeiten dieses Landes zu beklagen, die sie selbst zementieren.

Wir sind keine Freakshow. Wir sind Bür­ge­r*in­nen dieses Landes. Wir lassen uns nicht verdrängen. Wir fordern Respekt, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung – auch im Bundestag, dem Zentrum der Demokratie.

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24 Kommentare

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  • Man kann nicht von Tolerenz und Respekt gegenüber andere sprechen aber zeitgleich wiederum andere Beleidigen wie hier im Artikel.

    Wer fordert eigentlich das diesen Monat die Flagge auf dem Bundestag gehisst wird für disability Pride (Juli ist der Monat für Menschen mit Behinderung) Da ließt man wieder nichts von soviel zum Thema Toleranz und Gleichberechtigung für alle Gruppen der Minderheit

    • @Marcelo:

      Sehr guter Punkt. Wir sehen letztendlich ein Wettkampf um Sichtbarkeit, wobei die Interessensgruppe mit der größeren Social Media Reichweite und "Lautstärke" vorweg geht. Hierbei ersetzt "Lautstärke" leider das argumentative, ausgleichende.

  • Die Empörung ist übertrieben.

    Die Antwort "Zirkuszelt" erfolgte zu einer allgemeinen Frage der Beflaggung. Insoweit ist der Hinweis richtig, dass nicht irgendwie für irgendwas beflaggt wird. Eine Beflaggung im Zusammenhang mit einer Demonstration, die ihre Forderung direkt an den Bundestag richtet ist auch merkwürdig.

    Zeichen kann der Bundestag setzen im Rahmen internationaler Tage im Rahmen der Flaggenordnung des Bundestages. Das hissen der Regenbogenflagge durch Frau Bas erfolgte unter Verstoß der Flaggenordnung. Es hat nur niemand hingegeben.

  • Das zeigt wie dünn die Demokratie Maske bei Merz ist, er will nurmehr gehorchen: der autoritäre Geist ist stark in ihm, die Traditionen sind wieder im Kommen. Dass nun so viele auf ihn als Hoffnung für ein demokratisches und souveränes Europa setzen, ist fatal. Er zeigt sich autoritär bis in die Knochen: dem Trump alles recht machen und schonmal homophob hetzen, wie es dem gefallen könnte. Sich üben in der rethorischen Unmenschlichkeit, die der gerade vorführt, um mit dem anscheinend Mächtigsten zu heulen, das könnte für Europa fatal werden. Vergessen die 2 Sätze, als er so tat, als wenn er sich von einem antidemokratischen US Hegemon demokratisch absetzen wollte und Trump eine Gefahr nannte, die er ja ist. Nur wenn Europa sich demokratisch resillient gegen diese Tendenzen zeigt, kann es souverän sich entwickeln. Dafür müsste merz aber einen demokratischen Geist haben, der ihm offensichtlich fehlt. Schande , nur die Menschen denken anders, was sie bei der Budapest Pride gezeigt haben: sie wissen, wodrum es bei der Regenbogen Flagge geht: Um uns aller Gleichheitsgeist gegen Tyranei und autoritäre Ignoranz !

  • „Wir fordern Respekt, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung“

    Und Sichtbarkeit ist nur erreichbar, in dem eine der vielen Pride-Flaggen vor dem Bundestag weht? „Sichtbarkeit“ scheint mir zum Fetisch geworden zu sein.

  • For the record: Es dient der faschistisch.oligarisch.konservativen Restauration, Grenzen zwischen Menschengruppen aufzumachen und der anderen Gruppe Fehler anzukleben. Als ob es irgendeine Gruppe gibt, in der nicht Selbstüberschätzung existiert? Als ob der Autor weiß, was mit Merz wirklich los ist? Ich bezweifle das. Ich hätte da ganz andere Vermutungen als Selbstüberschätzung...

    Diese Bemerkung über "cis-hetero Männer" ist völlig unnötig: Sie markiert eine Schwäche. Der Kommentar gewinnt an Stärke, wenn man die Bemerkung einfach streicht.

  • Leider praktiziert der Autor genau das, was er Merz vorwirft: er wertet ab, pauschalisiert und unterstellt. (dahergelaufener Clown, Selbstüberschätzung vieler Cis-hetero Männer, "...das queere Menschen als gleichwertige Bür­ge­r*in­nen disqualifizieren soll").

    • @Black & White:

      Die xxU kann man nicht "abwerten". Die ist zum Bodensatz verkommen, was Menschlichkeit und Demokratie angeht und kaum noch von der gesichrt rechtsextremen AfD zu unterscheiden.

  • Ok. Aber der Zirkus-Satz war zumindest ungeschickt, wieder mal. Merz stolpert von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. Leider befürchte ich dass Merz zum Teil auch so denkt.

  • "Auf die SPD können wir uns in diesem Fall auch nicht verlassen." Wer spricht da - ein Aktivist oder ein Journalist.

    Dieser Kommentar ist mir zu viel Schnappatmung. Das tut der Sache nicht gut und begründet Merzens Haltung noch besser. Gottseidank hat sich Dennis Chiponda den diskursfeindlichen Kampfbegriff "querfeindlich" verkniffen.

    Es ist nun so, dass queere Personen eine kleine aber lautstarke Minderheit im Land sind. Und sicher nicht die einzige, die Diskriminierungserfahrungen machen muss. Das Parlament hat allen Minderheiten zu dienen - und der Mehrheit. Das gerät bei den queeren Aktivisten zu oft aus dem Blick.

  • Das nennt sich auch christliches Weltbild, für mich ist es schwer nachzuvollziehen warum jemand aus der LBGTQ und was noch immer dranhängt CSU/CSU oder FDP wählen kann....

    • @Retsudo:

      Im christlichen Weltbild gibt es keine Definition von "Zirkus".

      Über einen CSD hat Jesus auch nichts gesagt.

      Kann folglich nicht viel mit dem christlichen Weltbild zu tun haben.

      Für Sie ist es dann ja ein richtiger Brocken, dass sich auf Romeo im Rahmen einer Umfrage zur Parteienpräferenz 25 % für die AfD ausgesprochen haben sollen, oder?

  • taz: „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“, erklärt Merz bei „Maischberger“.

    Da bin ich mir ja nun nicht so sicher, besonders wenn man sich die CDU-Politiker mal genau anschaut. Ein ehemaliger BlackRock-Lobbyist als Kanzler, der sich immer um Kopf und Kragen redet, wenn er nicht vorher stundenlang von Fachleuten "gebrieft" wurde.

    Carsten Linnemann, der seinem Meister immer 'dienstwillig' zur Seite steht, aber ansonsten sehr unscheinbar ist, wenn er nicht gerade auf arme Menschen schimpft oder seinen Meister in Talkshows in den Himmel lobt.

    Jens-"Masken"-Spahn, der mal so eben ein paar Milliarden Euro Steuergelder aus dem Fenster wirft, aber immer noch nicht einsehen will, dass echte Politik ihn überfordert und er von der politischen Bühne abtreten sollte, bevor seine "Politik" für die Bürger noch teurer wird.

    Julia Klöckner, die zuerst als Weinkönigin anfing, sich dann als Nestle-Ministerin hochgearbeitet hat und jetzt sogar Bundestagspräsidentin spielen darf.

    Das könnte man jetzt so weiterführen, aber mit nur 1200 zur Verfügung stehenden Zeichen, kann man die "Union-Freakshow" ohnehin nicht 'gebührend' beschreiben.

  • Das ist alles Geplänkel und Geschwätz. Was wirklich dramatisch ist, ist, dass die Union im Bund gerade wieder die Aufnahme der sexuellen Orientierung in Art. 3 GG blockiert. Jetzt wäre die Gelegenheit, nie war die Unterstützung in der Bevölkerung größer (ein Populist wie Söder weiß das wohl), man könnte mit dem Unrecht der Vergangenheit endlich abschließen -- aber nein, wir müssen weiter bangen, ob eines Tages in Deutschland nicht doch eine fundametalistische Rechte nach US-Manier durchsetzt, dass man als "christlicher" Betreiber uns queere Menschen aus seinem Gasthaus, seiner Werkstatt oder seiner Steuerkanzlei werfen kann.



    Das Problem von Klöckner und Merz ist, dass sie in ihren seichten Vorurteilen hängengeblieben sind und die Menschen dahinter nicht wahrnehmen. Ich hoffe, die LSU steigt ihnen mal ordentlich auf die Zehen.

  • Es ist doch offensichtlich, daß Merz und seine Bundesregierung ihrem großen Vorbild Trump nacheifern, sie wollen ihm schließlich gefallen.

  • „ Sichtbarkeit und Gleichberechtigung – auch im Bundestag, dem Zentrum der Demokratie“ Gleichberechtigung unterstütze ich voll und ganz. Gleichberechtigt darf keine seine Fahne dort hiessen. Sichtbarkeit muss dann auf anderen Weg umgesetzt werden.

  • Schlechte Wortwahl, seine Begründung wann die Flagge gehisst werden soll war aber verständlich.

  • Herr Merz beweist einmal mehr, dass es ihm schwer fällt, sich von seinem pubertären Mutprobeverhalten, Reden und Denken zu verabschieden. Er hat ja schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass er als Kanzler nicht geeignet ist und ihm Applaus für schlechte Sprüche, die er selber toll findet, wichtig ist. Frau Klöckner ist für mich eine Erika Steinbach 2.0. und eine völlige Fehlbesetzung, schade um das Amt.

    • @Georg Groeg:

      Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie denn mit Erika Steinbach?

      Mir springt da nämlich nichts ins Auge.

      Ihre Lieblingsthemen sind andere, ihr Stil, sich zu äußern, ist ein anderer.

  • Selbst wenn er gesagt haette, dass der Bundestag doch kein Baum ist gegen den der "Zeitgeist" pissen kann, um sein Revier zu makieren, waere das immer noch meilenweit von der Interpretation des Autors entfernt gewesen. Wer denkt denn heute noch an Freakshow wenn er Wort ZIrkus hoert? Irgendwie an den Haaren herbeigezogen.

  • Schade, dass Menschen immer erst dann den Schaden bemerken, wenn es sie selbst trifft.



    Faule Bürgergeldbezieher, freskische Zirkusattraktionen, Coronaleugner und Putintrolle, kranke Pazifisten usw.

    In was für einer Demokratie wollen wir leben, in Merzens Black Rock Utopie ist sie sicher nicht zu finden, denke ich.

  • Die Fußball-EM der Frauen wird es wieder zeigen. Nicht nur ARD und ZDF, auch die taz, sitzt in der ersten Reihe, wenn es darum geht, ihr Geschäftsmodell vom Verkauf emotionalisierender Unterhaltung umzusetzen. Wetten dass ...?

    taz.de/Berichterst...M-2025/!vn6094231/



    taz.de/Rekordspiel...ky-Lopez/!6094768/



    taz.de/Wolfgang-Pe...B-Frauen/!6094721/



    taz.de/Deutsche-DF...r-der-EM/!6094590/



    taz.de/Alltag-der-...rauen-WM/!6094589/



    taz.de/Neue-Spielr...Fussball/!6094767/

    Was hat dieser Kommentar mit dem Artikel zu tun? Nichts. Findet hier aber mehr LeserInnen. Der kunterbunte Medienzirkus geht, ob mit oder ohne Regenbogenfahne, immer weiter.

  • Wir leben in einem Rechtsstaat und wir sind alle gleichberechtigt!



    Und das ist gut so!



    Nicht alle queeren Menschen möchten am CSD teilnehmen, nicht alle queeren Menschen brauchen eine Flagge für ihr Selbstverständnis als Person und Mensch.



    Nicht alle queeren Menschen möchten einer Community angehören, sondern einfach SEIN, die sie SIND.



    Queere Menschen sind kein monolitischer Block mit nur einer Meinung - sie sind Individuen wie alle anderen auch.

  • Wenn das kein Zirkuszelt ist, was ist es dann? Mir fehlt da der Kontext? Das von der AfD-Light zu hören verwundert mich nicht. Da ist Söder schon cleverer.